Wir alle haben eine Vorstellung davon, wie unser Leben aussehen soll, was wir wollen und was nicht. Wir feilen an unserem Glück, schmieden Pläne und setzten uns Ziele. Und diese Ziele verfolgen wir oft jahrelang, bis wir vergessen haben, warum wir tun was wir tun. Wir hören auf uns zu fragen, ob wir überhaupt glücklich sind. Wir leben einfach so vor uns hin. Nach Plan. Und das geht dann ewig so weiter. Manchmal braucht es deshalb auch gewichtige Ereignisse, damit wir unser Leben überprüfen. Sogenannte Krisen, in die wir aus vielen Gründen geraten können. Egal ob nun privater Natur oder aber auch durch Veränderungen im Job. Sie sind meistens einschneidend und verändern nicht selten unser Leben. Und gerade "berufliche Krisen treten heute viel häufiger als früher," sagt meine heutige Gastautorin und Coach Sonja Rieder und erklärt im folgenden Beitrag, woher so manche Krise kommt und wie man sie auch wieder überwinden kann.
Als Inbegriff der beruflichen Krise gilt nach wie vor die Arbeitslosigkeit. Merkwürdig eigentlich, denn das Bild der sich gleichmäßig nach oben entwickelnden Berufslaufbahn gilt schon längst als überholt. Wir wissen irgendwo im Hinterkopf:
Es ist nichts mehr so wie früher – alles Erreichte, jede Führungsposition kann rasch wieder verloren gehen.
Auch sehr gute Leute können arbeitslos werden. Altersdiskriminierung lässt die Chancen ab Mitte 40 in vielen Branchen schwinden. Da draußen in der Berufswelt, da ist kaum mehr etwas fix. Dem gegenüber steht aber unser Wunsch nach Sicherheit und nach Planbarkeit. Das ist zutiefst menschlich.
Dennoch zwingt uns die gegenwärtige Lage dazu, über dieses Bedürfnis hinauszuwachsen: Wir müssen schlichtweg lernen, mit gestiegener Unsicherheit zu leben – auch mit der beruflichen.
Die Krise rund um die Qual der Wahl
Neben den großen, oft existenziell erlebten Krisen wie jener durch Jobverlust sind Entscheidungskrisen häufig. Vor allem jüngere Menschen stehen einer Fülle von Möglichkeiten gegenüber.
Eindeutig „richtige“ Wege lassen sich kaum mehr identifizieren, dazu ist die Welt zu komplex geworden.
Die Angst, an einer entscheidenden Weggabelung eine „falsche“ Entscheidung zu treffen, wird immer größer. Aus dieser inneren Spannung erklärt sich übrigens auch der Wunsch vieler junger Erwachsener nach einem Beruf „unter dem man sich etwas vorstellen kann“. Und das sind nun einmal Klassiker wie Medizin oder Jura.
Wenn man sein Ziel nicht erreicht
... könnte das verschiedene Ursachen haben. Jemand macht zum Beispiel eine postgraduale Ausbildung, weil er fest davon überzeugt ist, dass ihn das im Unternehmen weiterbringen wird. Dies tritt dann aber nicht wie geplant ein. Wobei man übrigens von Automatismen, die vor 25 oder 30 Jahren durchaus noch gegolten haben, heute nicht mehr ausgehen sollte. Denn zusätzliche Bildungsabschlüsse sind schon allein aufgrund der hohen Akademikerqoute keine Selbstläufer mehr.
Oder ein anderer „Klassiker“: jemand rechnet mit einer in Aussicht gestellten Beförderung. Aus der schon greifbar nahen Führungsposition wird dann aber doch nichts. Ein anderer das Rennen macht. Besonders unangenehm wird es dann, wenn ein Mitbewerber, mit weniger Kompetenz oder deutlich kürzerer Betriebszugehörigkeit das Rennen macht. Bei solchen Krisen geht es um Ziele, die nicht erreicht wurden, weil man ihre Erreichung nicht autonom steuern kann. Wie es dann mittelfristig weitergeht, hängt stark davon ab, inwieweit es den Betroffenen gelingt, den Rückschlag zu verarbeiten und mit neuer Kraft aus der Situation herauszutreten. Auch hier kann es zur Erfahrung des Ausgeliefertseins und Ohnmachtsgefühlen kommen. Solche Krisen sehen von außen zwar oft weniger bedrohlich aus, können aber ähnlich stark belasten wie ein Jobverlust. Schließlich geht es hier um tiefgehende Themen wie Gerechtigkeit, verlorenes Vertrauen, manchmal auch um Beschämung oder gar Gesichtsverlust.
Häufig erreichen sie sogar eine derart schmerzende Tiefe, dass die alleinige Auflösung oft nur durch das Ausscheiden aus dem Unternehmen, dem „Tatort“, erreicht werden kann. Hier kann oftmals schon ein präventives Coaching helfen, dass ein Hineingleiten in eine dauerhafte Verbitterung bei dem Betroffenen verhindert.
Vieles ist auch nicht kampflos zu erreichen – auch daraus können Krisen entstehen. So manch eine Wiedereinsteigerin ist nicht selten geschockt, wenn sie feststellen muss, dass sie sich ihr altes Aufgabengebiet erst wieder von der ehrgeizigen Karenzvertretung* zurückerobern muss. Oder die Erkenntnis, dass ihre Leistungsfähigkeit durch Nächte mit einem zahnenden Kleinkind nicht mehr dieselbe ist wie vorher. Und die eine oder andere merkt dann auch, dass sie eine berufliche „Rückeroberungstour“ gar nicht mehr auf sich nehmen kann oder will.
Was hilft, um sich für berufliche Krisen zu wappnen?
Wie so oft ist die allgemeine Erwartungshaltung essenziell. Die Arbeitswelt hat sich stark verändert, nicht aber die Einstellung der Menschen. Viele gehen davon aus, dass sich ihr Berufsleben gleichmäßig und linear entwickelt – wie ein ruhiger Fluss. Solche unrealistische Vorstellung führen oft dazu, dass Menschen unter Krisen mehr leiden als notwendig.
Denn kaum eine Karriere kommt ohne Brüche, Schwierigkeiten oder Krisen aus.
Hier hilft die Erkenntnis, dass alles nur bis zu einem gewissen Grad planbar ist und Durststrecken einberechnet werden sollten. Gelungene Berufslaufbahnen beruhen auf harter Arbeit, ganz ohne Glück geht´s aber auch nicht. Wer sein Privatleben pflegt und nicht alles auf das Karrierepferd setzt, ist den Unwägbarkeiten des Berufslebens weniger ausgeliefert. Freundschaften und Interessen außerhalb der Firma können in beruflich schwierigen Zeiten enorm stabilisierend wirken. Und familiärer Rückhalt bewahrt davor, das Arbeitsumfeld zu sehr als Familie zu sehen, was nach einer anfänglichen „Honeymoon-Phase nämlich schnell zum Problem werden kann. Eben dann, wenn die Dinge nicht mehr so rund laufen und ganz schnell klar wird, dass es sich eben um ein Arbeitsverhältnis handelt. Auch Ehrgeiz mag eine starke Triebfeder sein, zu viel davon macht aber ungemein verletzlich.
Kraft durch eine realistische Sichtweise
Die postmoderne Arbeitswelt stellt unser Sicherheitsbedürfnis auf eine gehörige Probe. Das lässt sich weder weg- noch schönreden. Aber diese Zeit ist nun einmal unsere Zeit, und wir müssen uns den Herausforderungen stellen, die sie mit sich bringt. Übrigens ist auch nicht alles nur schlechter geworden, vielmehr halten wir ein Gesamtpaket in den Händen. Neben der entstandenen Unsicherheit haben sich viele Chancen aufgetan: innovative Leute können heute leichter vorwärts kommen und ihre Ideen realisieren, Junge rascher aufsteigen.
Starre Hierarchien, die man früher einfach nur hinnehmen konnte, brechen auf. Es gibt Alternativen zu Organisationen mit verkrusteten Strukturen. Viele Jobwechsel und berufliche Umorientierungen werden zunehmend als normal angesehen. Das Stigma schmilzt. Aber durch Brüche entstehen auch Eingangstore für alternative Berufsbiografien. Und Frauen sind mindestens so gut ausgebildet wie ihre männlichen Kollegen und beruflich am aufsteigenden Ast. Mit oder ohne Quotenregelung sollte die „gläserne Decke“ deshalb auch bald Vergangenheit sein.
Eine Krise zu bewältigen ist also immer eine große Herausforderung. Und wer darin hängen bleibt oder aus der Problemschleife nicht herausfindet, sollte sich unbedingt professionelle Hilfe bei einem Therapeuten suchen oder sich ein gutes Coaching leisten. Denn wenn es einen nämlich wirklich erwischt hat, das Gedankenkarussell nicht enden und der Schlaf nicht kommen will, die Kränkung dauerhaft hoch und die Laune dahin ist, besteht Handlungsbedarf. Und zwar schnell.
Viele Wege führen aus der Krise. Und der Mensch muss dabei nicht einmal das Rad neu erfinden. Denn wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, für den wird jedes Problem ein Nagel sein – Paul Watzlawick hat das in seiner „Anleitung zum Unglücklichsein“ so schön beschrieben. Wer aber die Brille von Wachstum und Weisheit nutzt, der blickt auf erweiterte Tools. "Und seine persönlichen Prioritäten zu erkennen, nach ihnen zu leben und sich nicht verrückt machen zu lassen, kann dabei ebenfalls eine hilfreiche Devise sein," meint zumindest der Erlanger Psychologe und Präventionsforscher Friedrich Lösel.