Warum können einige Menschen so viel mehr leisten als andere? Sie kennen das Zeit-Energie-Paradoxon – und ziehen ihre Konsequenzen daraus.
Von fast allen Top-Staats- und Unternehmenslenkern gibt es Fotos, die einen ins Staunen versetzen: Marc Zuckerberg beim Grillen mit Freunden. Richard Branson beim Kite-Surfen. Barack Obama, als er noch US-Präsident war, beim morgendlichen Fitnesstraining (angeblich sechs Mal die Woche). Bill Gates beim Bücherlesen (angeblich 50 im Jahr).
Und man fragt sich: Wie machen die das? Wie kann es sein, dass man selbst keine Zeit hat, um zumindest einmal in der Woche eine Runde zu joggen, und Menschen, die Milliardenunternehmen (oder Weltmächte) führen, fröhlich an ihrer Fitness arbeiten oder gemütlich Bücher lesen?
Eine mögliche Antwort: Sie haben das Zeit-Energie-Paradoxon
verstanden. Den Namen hat der amerikanische Blogger und Autor Michael Hyatt erfunden – und er ist irreführend. Denn die Sache ist nicht paradox, sondern ganz logisch:
Alle Menschen haben gleich viel Zeit zur Verfügung: egal ob Elon Musk, Mark Zuckerberg oder Olaf Scholz. Jeder hat 168 Stunden pro Woche.
Zeit ist die vielleicht einzige Ressource, die allen Menschen auf der ganzen Welt in exakt gleichem Umfang zur Verfügung steht (von der Lebenszeit mal abgesehen).
Das gilt allerdings nicht für die Energie. Der eine ist voller Tatendrang. Der andere hängt schlaff in der Ecke. Energie variiert. Nicht nur zwischen Menschen, sondern auch bei ein und demselben Menschen. An manchen Tagen strotzen wir vor Kraft und Motivation. An anderen Tagen geht gar nichts.
Die gute Nachricht: Im Gegensatz zur Ressource Zeit können wir unser Energielevel beeinflussen. Es ist daher Zeit, den Fokus zu wechseln: weg vom Zeitmanagement, hin zum Energiemanagement.
Wie aber kann man seine Energie erhöhen – und die vorhandene gut nutzen? Ein paar Ideen - wobei ich gestehe, dass ich auch noch nicht alle Ideen umgesetzt habe...
1. Das „Mehr ist besser“-Mantra hinterfragen
Wenn wir mit einer Sache nicht vorankommen, neigen wir dazu, die Ressource Zeit zu erhöhen.
- Im Unternehmen kommt ein Projekt nicht voran? Dann müssen wir mehr und härter daran arbeiten.
- Die Beziehung zu unseren Kindern ist kompliziert und distanziert? Dann sollten wir mehr Zeit mit ihnen verbringen.
- Um unsere Gesundheit war es auch schon mal besser bestellt? Dann sollten wir mehr Sport machen.
Das Problem ist offensichtlich. Unsere spontane Lösung für viele Probleme lautet: mehr Zeit investieren. Doch diese Lösungsmethode stößt schnell an Grenzen. Der Tag hat nur 24 Stunden.
Doch bekanntlich ist Erkenntnis der erste Schritt zu Besserung. Daher: Sobald wir ein Problem mit mehr Zeiteinsatz lösen wollen, sollten wir skeptisch werden.
2. Sprinten statt Marathon laufen
Maschinen können ohne Qualitätsverlust Tag und Nacht durcharbeiten. Überraschung: Der Mensch ist keine Maschine.
Klingt selbstverständlich, ist es aber für viele nicht. Gerade Leistungsträger glauben häufig, sie könnten im selben Tempo nonstop weiter ackern.
Menschen, die Höchstleistungen vollbringen, arbeiten aber nicht durch – sie nutzen vielmehr den natürlichen Rhythmus zwischen Anspannung und Entspannung, zwischen Auspowern und Aufladen.
Spitzensportler verteidigen ihre Regenerationsphasen daher mit aller Kraft. Viele Spitzenunternehmer meditieren, um neue Energie zu sammeln. Sie versuchen keinen Marathon zu laufen, in dem sie zwar vorwärtskommen – aber nur langsam. Stattdessen setzen sie auf Sprints – und tanken dazwischen neue Energie. Das führt mich direkt zu Punkt 3:
3. Leistungs- und Erholungsphasen bewusst nutzen
Spitzenkräfte, egal ob in Sport, Politik oder Wirtschaft, haben oft eine Gemeinsamkeit: Sie haben den Fokus 100-prozentig auf dem, was sie gerade tun, sind total im Moment, ganz bei der Sache. Was vielen Außenstehenden nicht bewusst ist: Mit dem gleichen Fokus erholen sich die Fokussierer auch. Sie legen starke Sprints hin – und machen dann bewusst Pause.
Forscher haben in zahlreichen Studien bestätigt, dass es, wenn wir produktiv sein wollen, auf den Rhythmus ankommt (das zeigt zum Beispiel eine Untersuchung der finnischen Draugiem Group). Viele von uns leben anders. Wir machen nie etwas mit voller Power, sondern arbeiten vor uns hin. Pausen sehen wir als Zeitverschwendung. Und wenn wir dann doch irgendwann unsere Arbeit beenden, schalten wir nicht bewusst ab, sondern sehen fern oder spielen mit dem Handy.
Erinnern Sie sich noch an den Rhythmus in der Schule? 90 Minuten konzentriert arbeiten und dann 15 oder 20 Minuten Pause machen. Diese Frequenz ist gar nicht so schlecht. Wer häufig und bewusst Pause macht, schafft mehr.
4. Energie tanken durch Rituale
Pausen sind dafür da, Energie zu tanken. Wie das geht? Ein paar Ideen:
- Spazieren gehen
- Meditieren
- Atemübungen machen
- Mit Kollegen über Privates reden
- Schlafen
Das Verrückte ist: Zu diesen – eigentlich ja angenehmen Tätigkeiten – müssen sich viele von uns zwingen. Einfach am Schreibtisch sitzen zu bleiben und durchs Internet zu surfen oder sich mit dem Smartphone in die Ecke zu setzen, erscheint uns verlockender. Nur: Indem wir weiter auf einen Bildschirm starren, laden wir unser Energielevel nicht auf.
Wichtig ist es daher, die aktive Pause zu einem Ritual zu machen. Das Schöne an einem Ritual: Man muss sich dazu nicht bewusst entscheiden, man macht es einfach. Wie Zähneputzen.
5. Niemals den Schlaf opfern, um zu arbeiten
Wer sich körperlich ausgelaugt, müde und matt fühlt, der kann auch intellektuell selten Höchstleistungen liefern.
Und trotzdem opfern wir häufig eine unabdingbare Ressource für körperliche (und übrigens auch psychische) Energie: unseren Schlaf. Es startet oft mit einer Ausnahme. Man denkt: „Ich habe morgen die Deadline, gleichzeitig aber einen ganztägigen Termin. Ich muss heute Abend durchpowern – es gibt keine andere Lösung.“
Das Problem ist: Oft bleibt es nicht bei der Ausnahme. Und plötzlich arbeitet man jeden Abend bis um Mitternacht. Die Konsequenzen für unsere Leistungsfähigkeit sind dramatisch und vielfach wissenschaftlich belegt. Wer müde ist, ist weniger aufmerksam, kann schlechter lernen, arbeitet langsamer, macht mehr Fehler und trifft schlechtere Entscheidungen.
Schlaf zu opfern, um mehr zu leisten, ist daher eine geradezu absurde Idee (wie sehr Schlafmangel der Wirtschaft schadet, zeigt zum Beispiel eine Analyse der Denkfabrik Rand Europe). Wer mehr leisten will, dem muss sein Schlaf heilig sein.
6. Weniger Entscheidungen treffen
Wir alle treffen täglich unzählige Entscheidungen: Was ziehe ich an? Wann stehe ich auf? Was esse ich zum Frühstück? Rasieren oder nicht rasieren? Welche Schuhe passen zum Wetter? Doch: Wer viele Entscheidungen treffen muss, fühlt sich irgendwann mental erschöpft. Im schlimmsten Fall ist einem ab einem gewissen Punkt alles egal.
Die logische Konsequenz: Wer genug Energie für die wichtigen Entscheidungen haben möchte, sollte die Gesamtzahl der Entscheidungen minimieren.
Dafür gibt es zwei Möglichkeiten:
Auf Routine setzen
Routinen nehmen uns Entscheidungen ab. Mark Zuckerberg muss sich morgens nicht entscheiden, was er anziehen soll. Er greift immer zum grauen T-Shirt. Wer jeden Montagmorgen joggt, muss diese Entscheidung nicht mehr treffen. Wer jeden Morgen Müsli isst, macht sich darüber keine Gedanken mehr. Wer jeden Morgen mit dem Rad zur Arbeit fährt, muss sich dazu nicht mehr täglich aufraffen.
Entscheidungen delegieren
Wer sagt eigentlich, dass Sie alle Entscheidungen selbst treffen müssen? Es gibt immer Entscheidungen, die nur der Chef oder die Chefin treffen kann – und auf die sollte er oder sie sich fokussieren. Führungskräfte, die selbst dabei mitreden wollen, welche Sorte Tassen für die Teeküche angeschafft werden, verschwenden wertvolle Entscheidungsenergie.
7. Klug essen
Dass man Körper und Hirn ordentlich betanken muss, damit sie Topleistungen erbringen können, ist einleuchtend. Und trotzdem sind die meisten von uns sofort bereit, die Mittagspause für ein wichtiges Meeting zu opfern, aufs Frühstück zu verzichten, um schon mal Mails zu checken oder nachmittags schnell einen Schokoriegel einzuwerfen – denn für mehr ist einfach keine Zeit. Hier sind wir zurück beim Ausgangspunkt: Viele von uns denken sehr viel darüber nach, Zeit sinnvoll zu nutzen – aber wenig daran, Energie sinnvoll einzusetzen (und nachzuladen).
Auch beim Essen hilft wieder unser Freund – die Routine. Wer morgens immer Müsli mit Joghurt isst, anstatt sich mit einem Kaffee zu begnügen, startet gestärkt in den Tag. Wer statt eines Snickers ein paar Nüsse im Schreibtisch hat, der greift zu einem Snack, der ihm langfristig Energie gibt – und nicht kurzfristig die Energie hochjazzt, um sie dann zusammenkrachen zu lassen.